Es gab einmal ein Ehepaar, dass schon lange verheiratet war. Der Mann verdiente das Geld und die Frau hatte in dieser langen Zeit die einzige Aufgabe, sich um den Haushalt und die Versorgung der gemeinsamen Kinder zu kümmern. Selbstverständlich war es gegen das Ehrgefühl des Mannes, dass die Frau arbeiten ging. Und so blieb die Frau zu Hause und lebte immer im Gefühl, dass sie ohne ihren Mann verhungern und kein Dach über dem Kopf haben würde.
Es war eine romantische Liebe gewesen, der Mann vital und muskulös, die Frau zart und schön.
Nach den vielen Jahren war aus dem Mann ein erfolgreicher älterer Herr geworden und aus der Frau eine im Denken müde gewordene Alte, die egal was sie tat, ihr Alter nicht mehr verbergen konnte.
Die Situationen wurden immer häufiger, an denen sie sich von ihrem Mann anhören musste, wie unperfekt, wie langweilig gekleidet sie sei, wie alt ihr Körper geworden war und dass sie bis heute nicht gelernt hatte, so zu kochen wie seine Mutter.
Dann gingen sie gemeinsam auf die Betriebsfeier ihres Mannes. Dort sieht die Frau, wie ihr Mann mit einer blutjungen Mitarbeiterin flirtet. Zum ersten Mal empfindet die Frau keine Wut und Verletztheit mehr.
Die alt gewordene Frau sah auf einmal die Realität: ihren alten, faltigen, um seine Mitte rundlich gewordenen, ehemals so attraktiver Ehemann, der sich so verhielt, als wäre er noch jung und straff.
Mit dieser Sichtweise änderte sich etwas. Die gefühlten Demütigungen und Entmenschlichungen ihres Mannes, die seit Jahren auf sie niederprasselten, wurden zu aus der Luft gegriffenen Bösartigkeiten.
Auf diese Weise kehrte ein Hauch ihrer Selbstachtung zurück.
Die Frau setzte sich jetzt ruhig zu den älteren Kollegen ihres Mannes und gemeinsam mit ihnen schaute sie zu, wie ihr Mann mit der jungen Kollegin aus dem Festsaal verschwand.
In der Nacht lag die Frau lange wach. Sie hörte noch immer die Stimme ihres Mannes, der sie wieder an diesem Abend mit Häme und Spott überhäuft hatte. In der Art, sie hätte alt und schlecht gekleidet ausgesehen und es wäre ihm peinlich gewesen, mit ihr auf der Betriebsfeier zu sein.
Die Frau spürte ihre Wut, wünschte sich ein Messer in ihrer Hand, spürte, wie es sich anfühlen müsste, ihren Mann zu erstechen und dabei zuzusehen, wie er auf dem Boden liegend verblutet.
Die Blutleere fühlte sie nun auch in sich selbst. Sie krümmte sich zusammen, kalte Tränen liefen ihr über das Gesicht.
Sie lag jetzt hellwach neben ihrem schlafenden Ehemann im Bett.
Die Frau stand auf, zog sich an, nahm eine kleine Tasche, in die sie das Nötigste packte, ihren Ausweis, Heiratsunterlagen, das gemeinsame Sparbuch holte sie aus dem Schreibtisch des Mannes, schieb einen Brief, legte ein Küchenmesser neben den Brief und verließ das Haus.

Am nächsten Morgen fand der Mann die Wohnung ohne seine Frau vor. Kein Rufen und Schreien ließ sie antworten. Ihre Kleidung schien noch da zu sein. Dann sah er den Brief seiner Frau und griff das daneben liegende Messer.
Verächtlich an sie denkend, öffnete er den Brief mit dem Küchenmesser.

Lieber Mann,

ich hatte nur zwei Möglichkeiten mich von dir zu trennen.
Erste Möglichkeit:
dich zu töten, weil ich, wie du ja auch, versprochen hatte: durch die guten und die schlechten Tage mit dir zu gehen, bis dass der Tod uns scheidet.
Zweite Möglichkeit:
mein Versprechen vor dem Ehe-Altar zu brechen, dich am Leben zu lassen und schweigend zu gehen. Denn hätte ich mein Weggehen mit dir besprochen, dann weiß ich, dass du, wie du es bis jetzt immer getan hast, Etwas gesagt hättest, woraufhin ich dich getötet hätte.
So habe ich schweigend den Platz an deiner Seite frei gemacht. Dir steht es nun frei, eine Frau an dich zu binden, die: aussieht wie ein Modell, nie älter wird, immer schlank bleibt, einen perfekt organisierten Haushalt abliefert, Verstand genug hat, dir nicht zu widersprechen und gebildet genug ist, bei deinen Monologen über deine Arbeit immer noch interessierte Fragen zu stellen.
Dann wünsche ich dir, dass du diese Frau genügend demütigen kannst, damit sie so lange wie möglich deine Unterdrückung, Demütigung, Bevormundung, Verachtung aushält.
Ich war nie diese Frau. Das hast du mir mehrmals am Tag in mein Gehirn gehämmert.
Solltest du solch eine Frau aber nicht mehr finden, dann weiß ich, dass du den Haushalt perfekt selbst organisieren kannst, denn dass hast du mir ja auch mehrmals am Tag versichert, dass das für dich eine der leichtesten Aufgaben ist.

Ich bin ab jetzt eine Frau, die die Scherben ihres Lebens zusammensammelt und in ein gleichberechtigtes Leben eintreten wird, in dem Männer deiner Art keinen Raum mehr haben werden. Was auch immer mich da erwarten wird, es ist eine Welt, die mir völlig unbekannt ist.
Die Scheidungspapiere werden in den nächsten Tagen in deinem Briefkasten sein.

Sei froh, dass du noch lebst.
Unterzeichnet mit meinem Geburtsnamen.