Bilder Pino Juliano

Es gab etwas, das Monti, der kleine Hase, für sein Leben gerne tat: Sich an einen warmen, sonnigen Platz am Rand des Heimatgebüsches setzen, die Augen über das bunt blühende Gras schweifen lassen, um sich so in das Land der träumenden Tage zu begeben.
Während er gerade so vor sich hin träumte, fiel ein Schatten auf Monti und seine Aufmerksamkeit ging zurück in das Land der Wirklichkeit. Es war seine Mutter, die ihn zum Abendessen holte. Gemeinsam hoppelten sie nach Hause und als der kleine Hase am Abend in seinem kuscheligen Bett lag, war er auch bald eingeschlafen.

Am nächsten Vormittag saß Monti auf seiner Schulbank und schaute aufmerksam auf einen tickenden Apparat, den die Lehrerinhase Uhr nannte. Er hatte so etwas noch nie gesehen und hörte zu, wie die Lehrerinhase etwas über Zeit erzählte und darüber, wie diese auf der Uhr abzulesen sei.
Was ist eigentlich Zeit, dachte Monti. Ist das etwas zum Anfassen, und wenn ja, wie fühlt es sich wohl an? Weich oder hart? Klebrig oder staubig? Stachelig oder glatt? Monti konnte sich nichts unter Zeit vorstellen und hörte deshalb nicht weiter der Lehrerinhase zu.
Nach den Schulaufgaben suchte Monti sich einen sonnigen Platz, dort wollte er über die Zeit nachdenken. Dabei wandelte er in Gedanken durch das Land der träumenden Tage. Vielleicht konnte er hier erfahren, wie sich Zeit anfühlt. In seinem Traum saß Monti auf einem Hügel und konnte weit in das Land hineinschauen. Ein auf ihn zukommender Nebel wurde zu einer Traumlandfee, die sich neben ihn setzte, und gemeinsam schauten sie die Unendlichkeit.
„Das ist also die Zeit“, sagte Monti zu ihr.
„Nein“, erwiderte die Traumlandfee, „wir sind hier in der Unendlichkeit, und hier gibt es keine Zeit.“

„Aber ich habe doch über die Zeit nachgedacht und kam hierher, um sie zu fühlen.“ Monti war irritiert.
„Es stimmt. Du bist in das Land der träumenden Tage gekommen, um zu erkennen, was Zeit ist. Nur ist es so, dass wir dir hier im Tagtraumland nur das Gefühl zeigen können, wie es ist, ohne Zeit zu sein, also das Gefühl der Zeitlosigkeit.“ Die Traumlandfee lächelte gütig.
„Und wo finde ich das Gefühl für die Zeit?“ Erwartungsvoll blickte Monti die Traumlandfee an.
„Lieber Monti, richte jetzt deine Aufmerksamkeit wieder auf die Erde, über die du hoppeln kannst und auf die Sonne, die dein Fell erwärmt. All das hat etwas mit Zeit zu tun. Und wenn du die Erde wahrnimmst, auf der du stehst und die Sonne siehst, die das warme Licht auf die Erde bringt, dann gehe in das Land Uhr. Dort wirst du einen Zeitschlumpf finden, der dir zeigen kann, wie sich Zeit anfühlt.“
„Woran erkenne ich den Zeitschlumpf?“ Monti wollte ganz sicher sein, sodass er ihn wirklich finden konnte.
Die Traumlandfee gab ihm noch einen letzten Hinweis mit auf den Weg: „Zeit ist, wie eine Schnur, die zwischen zwei Ereignissen liegt. Denke einfach daran und du wirst den Zeitschlumpf erkennen.“

Monti bedankte sich bei der Traumlandfee und seine Augen sahen jetzt die Erde, auf der er lag, und sie sahen das Licht der Sonne, welches die Erde erhellte. Er hörte die kleinen Tiere, die vor ihm im Gras ihrem Leben nachgingen, und jetzt war Monti wieder ganz im Land der Wirklichkeit. Auf seiner Zunge lag die staubige Luft der Erde, auf der er nun stand.
Eigentlich wollte er jetzt gleich in das Land Uhr gehen, um die Zeit zu finden. Doch dann hörte er, wie Mutterhase seinen Namen rief.
Als Monti zu Hause ankam, fragte Mutterhase: „Wo bist du gewesen?“
„Ich war dort hinten am Rand unseres Heimatgebüsches und habe in der Sonne gelegen.“
Mutterhase rührte weiter im Topf, in dem das Abendessen garte.
„Mutterhase?“
„Ja.“
„Mutterhase, hast du schon einmal einen Zeitschlumpf gesehen?“
„Ja“, Mutterhase nickte, „jedem Hasenkind begegnet irgendwann ein Zeitschlumpf.“
„Was hat dir dein Zeitschlumpf erzählt?“, fragte Monti und Mutterhase setzte sich zu ihm und überlegte, dann sagte sie: „Ich weiß es nicht mehr genau. Ich kann dir nur erzählen, was ich verstanden habe.“
„Und was hast du verstanden?“
Mutterhase dachte nach, wie sie es wohl am besten sagen sollte: „Zeit ist eine Schnur, die zwischen zwei Ereignissen liegt.“
Montis Augen blickten fragend und er bat um ein Beispiel. „Weißt du Monti, stelle dir das Ereignis vor, eine kleine Bohne in die Erde zu pflanzen. Und dann, stell dir vor, kommt eine Schnur von einigen Wochen Zeit. Und dann kommt das zweite Ereignis, aus der Bohne sind zwei kleine Blätter gewachsen. Verstehst du?“ Mutterhase schaute in Montis Augen und sah, wie er wirklich versuchte, das Gesagte zu verstehen.
Als Monti im Bett lag, versuchte er sich vorzustellen, wie eine Schnur von einigen Wochen Zeit wohl aussieht.

Am nächsten Tag beeilte sich Monti mit den Hausaufgaben und sagte, als er fertig war, zu Mutterhase: „Ich gehe jetzt meinen Zeitschlumpf finden.“
Mutterhase gab ihm noch etwas zu essen und zu trinken. Monti packte die Nahrungsmittel in seinen Rucksack und begab sich auf den Weg in das Land Uhr.

Als Monti den Wald betrat, veränderte sich das Licht. Hier, und das wusste Monti, hatte er die Grenze zum Land Uhr überschritten. Das neue Licht war klar und voller Schatten, sodass Monti die Wege und Pflanzen zwischen den Bäumen gut sehen konnte.
Der Wald von Uhr schien hasenleer zu sein. Monti hoppelte weiter und weiter, bis er ganz müde und hungrig war. So setzte er sich neben einen Ameisenhügel. Dadurch hatte er, während er aß und trank, ein bisschen Gesellschaft. Er beobachtete die Ameisen, die ohne Pause hin und her eilten und arbeiteten und arbeiteten.
Während Monti den Ameisen aufmerksam zusah, erkannte er den Sinn jeder einzelnen Arbeitsbewegung. Er begriff, nur indem jede Ameise das tat, was sie tun konnte, lebte der Ameisenstaat.

„Hallo!“
Monti schrak aus seiner Versunkenheit auf und blickte direkt in die Augen des Zeitschlumpfs, der achtsam hinter dem Ameisenhügel hervortrat: „Hallo und eine gute Zeit!“ Mit diesen Worten ging der Zeitschlumpf aufmerksam auf Monti zu.
Monti betrachtete den Zeitschlumpf mit leichter Unsicherheit. Der Zeitschlumpf war so groß wie ein Farn, und seine Kleidung hatte die Farbe von frischem Moos. Seine Haare waren angeordnet wie ein Lorbeerkranz und seine Augenbrauen so buschig wie das Unterholz des Waldes.
Monti hatte es die Sprache verschlagen. So ergriff der Zeitschlumpf wieder das Wort: „Ich bin der Zeitschlumpf, der dich durch das Land Uhr begleiten darf. Die Traumlandfee sagte mir, wo ich dich ungefähr finden würde. Du bist also Monti.“
Der Zeitschlumpf blickte aufmunternd auf den kleinen Hasen herab und Monti sog hastig nach Luft und krächzte: „Ja.“

„Sehr gesprächig bist du ja nicht“, meinte der Zeitschlumpf und setzte sich neben Monti auf einen Stein. Monti fand seine Stimme wieder und sagte: „Ja, ich bin Monti und ich hatte eine ganz andere Vorstellung davon, wie ein Zeitschlumpf aussieht.“
„Wie dachtest du, sehen Zeitschlümpfe aus?“
„Irgendwie mehr nach Zeit! Doch du siehst aus, als würdest du ganz zum Wald gehören.“
„Nun“, erwiderte der Zeitschlumpf, „wie sieht denn für dich Zeit aus?“
Monti war verwirrt, und doch versuchte er, zu antworten: „Das, was ich über die Zeit weiß, ist, dass sie eine Schnur ist, die zwischen zwei Ereignissen liegt“, und Monti erklärte weiter, „so ist es mir von Mutterhase erklärt worden, nur so richtig habe ich es nicht verstanden.“ Er überlegte noch einen Augenblick und fügte dann hinzu: „Und ich bin hier, weil ich wissen möchte, wie sich Zeit anfühlt.“

„So ganz verstehe ich das noch nicht?“ Monti schaute etwas verzweifelt drein.
„Was davon hast du denn schon verstanden?“, fragte ihn der Zeitschlumpf.
„Das mit dem aufmerksamen Gehen, das habe ich verstanden. Ich habe noch nicht verstanden, wie ich die Zeichen für Gefahr und Richtungsänderung erkennen soll.“
„Du weißt doch, warum du hierher gekommen bist.“
„Ja.“ Monti nickte.
„Und in deinem Leben hast du schon eine ganze Menge gelernt und erfahren.“
Monti nickte wieder.
„Wenn du jetzt dein Wissen und deine Weisheit mit den Informationen von außen verknüpfst, dann kannst du verstehen. Und wenn du verstehst, dann wirst du die Zeichen erkennen.“
Der Zeitschlumpf sah, dass zwischen Montis Augen immer noch ein großes Fragezeichen stand, und so riet er: „Manches im Leben musst du einfach tun, um es zu verstehen.“ Der Zeitschlumpf machte eine aufmunternde Geste, und Monti entschloss sich, dem Rat zu folgen und es zu tun.

So waren sie gemeinsam unterwegs. Monti hatte nicht die leiseste Ahnung, wo sie hingingen. Doch er hatte sich ganz dem Zeitschlumpf anvertraut und achtete jetzt aufmerksam auf den Weg, den er ging.
Vor einem Fuchsbau blieb der Zeitschlumpf stehen. Monti wurde jetzt etwas unruhig, denn ein Fuchs bedeutete ganz eindeutig Gefahr und Richtungsänderung.
Der Zeitschlumpf verstand Montis Unruhe und erklärte, dass Monti hier im Land Uhr für den Fuchs ein gleichwertiges Erdwesen sei.
„Hallo, Fuchs“, rief der Zeitschlumpf in den Fuchsbau hinein. „Hallo und eine gute Zeit!“
Monti versuchte von ganzem Herzen, den Worten des Zeitschlumpfs zu vertrauen, als er den Fuchs aus seinem Bau heraustreten sah.
„Hallo, Zeitschlumpf“, sagte der Fuchs, „wen hast du heute zur Begleitung?“ Dabei schauten seine klugen Augen zu Monti hinüber.
„Das ist Monti.“ So stellte ihn der Zeitschlumpf vor und fügte noch hinzu: „Monti möchte wissen, wie sich die Zeit anfühlt.“
„Und wie kann ich euch helfen?“ Der Fuchs schaute seine Besucher erwartungsvoll an. Der Zeitschlumpf erklärte, sie seien hier, weil Monti etwas mehr über die Zeitschnur erfahren möchte.
„Nun“, so meinte der Fuchs, „setzt euch doch hier zu mir und ich werde euch erzählen, was ich über die Zeit weiß.“

Monti spürte die Sicherheit des Waldes von Uhr und hockte sich auf den Boden.
„Es gab eine Zeit in meinem Leben“, so erklärte der Fuchs, „da habe ich ganz in der Nähe der Menschen gelebt.“ Die Augen des Fuchses verloren sich für einen Moment in seiner Erinnerung. „Die Menschen haben eine Zeitlinie erdacht, auf der sich alle Ereignisse des Lebens befinden. In ihrer Vorstellung beginnt alles mit der Entstehung des Universums. Auch die Geburt der Erde ist ein Ereignis auf dieser gedachten Linie. Dann wurde es für die Erde wichtig, dass es den Tag und die Nacht gab. So begann das Leben auf der Erde. Weiter war es wichtig, dass es die warmen und die kalten Jahreszeiten gab und dass die Jahreszeiten sich nach Ablauf eines Jahres wiederholten.“

Monti hörte aufmerksam zu.
„Dann kam die Zeit, in dem es Menschen auf dem Planeten Erde gab, und sie rechneten aus, wie oft die Erde sich schon bis heute um die Sonne gedreht hat. Jetzt meinen die Menschen sagen zu können, wie alt die Erde an Jahren ist.“
„Woher weißt du, dass die Erde sich um die Sonne dreht?“ Monti stellte sich vor, wie er einen Ball an einer Schnur um sich kreisen lässt.
„Das weiß ich von den Vögeln“, sagte der Fuchs. „Wenn du mehr über das Drehen der Erde erfahren möchtest, besuche die Vögel.“
Sie bedankten sich bei dem Fuchs und wünschten ihm noch eine gute Zeit.

Wieder drehte sich der Zeitschlumpf und schlug eine neue Richtung ein.
Schweigend setzten sie ihren Weg fort. Monti versuchte aufmerksam auf den Weg zu achten, konnte aber die neuen Fragen in seinem Kopf nicht zum Schweigen bringen. Als er stolperte, war der Zeitschlumpf sogleich bei ihm und fragte, was geschehen sei. „Mein Denken bleibt bei dem Drehen der Erde hängen.“ Monti hatte sich wieder aufgerappelt, und der Zeitschlumpf bat Monti, sich doch zu setzen.
„Was ist es, wo du beim Denken über das Drehen der Erde hängen bleibst?“
„Ich habe darüber noch nie nachgedacht, warum es Sinn macht, dass die Erde rund ist. Ich meine so rund ist, wie eine Kugel.“ Monti versuchte seine Gedanken zu sortieren. „Als der Fuchs sagte, dass eine Umdrehung der Erde um die Sonne auf der Zeitlinie ein Jahr bedeutet, dachte ich zum ersten Mal darüber nach, dass die Erde ja eine Kugel ist. Und ich frage mich jetzt, wo ist oben auf der Erdkugel und wie sieht es unten auf der Erdkugel aus. Und fallen die Erdwesen, wenn sie sich nach unten begeben, von der Erdkugel ´runter?“
Der Zeitschlumpf nickte, die Frage verstehend, und Monti hatte beim Zeitschlumpfnicken immer das Gefühl, ganz als Persönlichkeit wahrgenommen zu werden und hörte aufmerksam der Antwort zu.

„Der Planet Erde hat eine Erdanziehungskraft. Diese Kraft wirkt ähnlich wie ein Magnet. Wie dir bestimmt schon aufgefallen ist, fällt ein Gegenstand, den du fallen lässt oder in die Luft wirfst, immer wieder auf die Erde zurück. Das geschieht, weil die Erdanziehungskraft so stark ist die Dinge festzuhalten. Das geschieht überall auf der Erde.“
„Du meinst, sie hält auch unten auf der Erdkugel alles fest?“
„Genau genommen gibt es kein oben und unten auf der Erdkugel oder im Weltall.“ Der Zeitschlumpf machte mit seinen Händen eine Geste, die eine Kugel darstellen sollte. „Es gibt einen Nordpol und einen Südpol. Die Menschen haben einfach festgelegt, dass der Nordpol oben und der Südpol unten auf der Erdkugel ist. Ich will damit sagen, dass das Leben auf der Erde sich nicht verändern würde, wenn wir in Gedanken alles umdrehen.“
„Verstehe ich das richtig, dass es im gesamten Weltall kein oben und unten gibt.“
„Ja. Es gibt nur die Position, wie sich das eine zum anderen verhält. Aus diesem Grund lässt sich Gleiches aus verschiedenen Richtungen betrachten.“
Monti verfiel in seine eigenen Gedanken. „Und wo ist der Sinn, es so zu beschreiben, dass der Nordpol oben ist und der Südpol unten?“
„Weißt du, so haben die Menschen eine Orientierung, wenn sie über Richtungen sprechen.“
„Die Menschen haben also ein Oben und ein Unten festgelegt, damit alle das Gleiche meinen, wenn sie von einer Richtung sprechen?“
„Genau!“

Monti hatte da noch eine Frage: „Wenn ich auf einem gemähten Kornfeld so weit schauen kann, bis der Himmel das Kornfeld berührt, sehe ich alles nur gerade.“
„Was genau ist deine Frage?“ Der Zeitschlumpf, so schien es, hatte alle Zeit der Welt, und so fragte Monti weiter: „Wo kann ich sehen, dass die Erde rund ist?“
„Die Vögel werden dir deine Frage beantworten.“
Sie zogen weiter. Langsam ging es nun bergauf. Der Wald von Uhr wurde lichter und lichter. Der Weg wurde immer steiler. Bald waren sie nur noch von Sträuchern und Wiesen umgeben. Monti hoppelte bedachtsam den Berg hinauf. Er hatte gelernt, auf den Weg zu achten. Bald hatten sie die Landschaft der Sträucher hinter sich gelassen. Es wurde felsiger und sie konnten schon den Berggipfel von Uhr sehen. Weiter ging es hinauf zum Gipfel des Berges.
„Hier werden wir warten“, sagte plötzlich der Zeitschlumpf.

Jetzt hockte Monti, für die ganze Welt sichtbar, neben dem Zeitschlumpf und wartete auf die Vögel. Er hatte gelernt, die Dinge auf sich zukommen zu lassen.
Als sich das Licht über ihnen veränderte, bemerkte Monti, dass der gleichmäßige Rhythmus der Luft zu einer gewaltigen Bewegung wurde. Er schaute auf und sah einen riesigen Vogel mit würdevollen Flügelschlägen auf sie zu gleiten. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er sich Auge in Auge einem Adler gegenüber.
„Hallo, Adler!“ Der Zeitschlumpf begrüßte den König des Himmels. „Hallo und eine gute Zeit.“ Der Adler erwiderte den Gruß und fragte, wer es sei, den der Zeitschlumpf heute zur Begleitung habe.
„Das ist Monti. Er ist hier, weil er wissen möchte, wie sich die Zeit anfühlt.“

Der Adler hörte aufmerksam zu, begrüßte Monti und sagte: „Was kann ich für dich tun?“
Monti schaute tapfer auf zum Adler, dessen Augen schon viel gesehen hatten, und erwiderte zuerst den Gruß, bevor er seine Bitte vortrug: „Wo kann ich sehen, dass die Erde rund ist.“
„Dazu musst du den Erdboden verlassen und in den Himmel fliegen“, antwortete der Adler.
„Du meinst, von ganz weit weg vom Erdboden, kann ich die Rundung der Erde sehen?“ Der Adler nickte schmunzelnd.
Monti war ganz aufgeregt. „Was kann ich tun, um ganz weit in den Himmel zu kommen.“ Monti sah an sich herab und bedauerte, keine Flügel zu haben.
„Willst du wirklich die Erde als Kugel sehen?“, fragte der Adler und war ernst, als er weitersprach: „Denke gut über deine Entscheidung nach. Dort, wo du hinmöchtest, ist noch kein Hase vor dir gewesen.“

Unsicher schaute Monti zum Zeitschlumpf hinüber. Er antwortete auf den fragenden Blick: „Du entscheidest, was du wissen möchtest.“
So entschied Monti: „Ich weiß nicht, was ich tun kann. Doch ich möchte in den Himmel fliegen und die Erde von ganz weit oben sehen.“
„Gut“, sagte der Adler, „so stelle dich vor meinen Schnabel.“
Monti tat das, was er tun konnte und trat mutig vor den mächtigen Schnabel des Adlers. Er wusste, was auch immer geschehen sollte, für dieses Wissen würde er die Erde verlassen. In seinem Nacken spürte er jetzt den mächtigen Schnabel des Adlers, der sein Fell hin und her schob, dann packte ein Fuß des Adlers zu. Monti erhob sich, getragen von den Flügeln des Königs, in das Reich der Lüfte. Höher und höher. Bis der Zeitschlumpf nur noch als ein Punkt zu sehen war. Dann verschwand auch dieser Punkt. Weiter ging es, höher und höher. Monti blickte die ganze Zeit auf die Erde. Alles wurde kleiner, bald sah er nur noch Farben. Die Farben der Wälder, Wiesen und Seen. Sie flogen immer weiter in den Himmel. Die Luft zum Atmen wurde dünner und dünner. Nun sah er die Farben der Länder und der Meere. Sie entfernten sich mehr und mehr, bis Monti die Erde wie einen runden, blauen Planeten sah. Danach verlor er sein Bewusstsein. Hier gab es für einen Hasen keine Luft mehr zum Atmen.

Als Monti die Augen öffnete, lag er im Adlerhorst. Das weiche Moos schütze ihn vor der Kälte der Nacht. Er blickte um sich und sah in die guten Augen des Zeitschlumpfs, der über seinen unruhigen Schlaf gewacht und ihn immer wieder zugedeckt hatte.
„Ich habe unseren Blauen Planeten gesehen.“ Trotz der Müdigkeit musste Monti sein neues Wissen mitteilen.
„Ich weiß“, entgegnete der Zeitschlumpf, „und jetzt bist du Gast beim König der Lüfte.“
Monti kuschelte sich ganz in das Moos und blickte zum Sternenhimmel. „Das werde ich nie vergessen!“ Seine Stimme hatte die Langsamkeit der Müdigkeit. Bald hatte ihn der Schlaf wieder. Doch diesmal war der Schlaf ruhig und erholsam.
Die Morgensonne durfte Monti für den neuen Tag wecken. Nach der ersten Mahlzeit des Tages bedankte sich Monti beim Adler für den Himmelsflug.
„Ich bewundere deinen Mut, wie du dir deine Fragen beantwortest.“ Der Adler schaute Monti direkt an, und da begriff Monti zum ersten Mal, warum noch kein Hase vor ihm den Blauen Planeten gesehen hatte. Er zögerte etwas, bevor er sprach: „Jetzt weiß ich, dass die Erde rund ist. Doch ich verstehe immer noch nicht, warum es eine Zeitlinie gibt. Wenn ich mir vorstelle, die Erde dreht sich um die Sonne und sie kommt an den Punkt, wo sie angefangen hat, sich um die Sonne zu drehen, dann fängt doch alles wieder von vorne an. Ich meine, dann ist die Zeit doch wie ein Kreis.“

„Mmm“, der Adler blickte anerkennend zu Monti. „Was den Kreis der Jahreszeiten betrifft, da hast du Recht. Es beginnt im Grunde wieder von vorne.“ Der Adler schaute zum Zeitschlumpf, dieser bat ihn jedoch, weiterzusprechen.
„Der Jahreszeitenablauf beginnt immer wieder von neuem. Nur ist es so, wenn der Ablauf beginnt sich zu wiederholen, hat sich das Leben auf der Erde verändert. Pflanzen und Bäume sind gewachsen. Erdwesen sind gestorben, und neue Erdwesen sind geboren. Solche Ereignisse verändern das Gesicht der Erde auf der gedachten Zeitlinie, während der Kreis der Jahreszeiten von neuem beginnt.“
Monti dachte eine Weile über die Worte des Adlers nach. Da war in seinem Kopf noch eine winzige Frage zur Zeitlinie: „Was macht die Erde, damit es Tag und Nacht wird.“
„Ganz einfach“, antwortete lächelnd der Adler, „sie dreht sich von einem Morgen bis zum nächsten Morgen einmal um sich selbst.“
Wie genial, dachte Monti. Und schaute ganz begeistert. Sein Enthusiasmus erfreute sowohl den Adler als auch den Zeitschlumpf.
Nun, meinte der Zeitschlumpf, würde es Sinn machen weiterzugehen. Sie verabschiedeten sich vom Adler und betraten den Weg ins Tal.

Während des Gehens betrachtete Monti den felsigen Weg, der irgendwann begleitet wurde von Gräsern und Pflanzen, dann stellten sich Sträucher und einige Bäume dazu. Noch ganz erfüllt vom Anblick des Blauen Planeten, der auf seiner Erdenbahn die Sonne umkreist, stoppte Monti sein Gehen. Der Zeitschlumpf nickte und bedeutete mit einer Geste, dass sie hier Rast einlegen.
„Dir geht ein Gedanke durch den Sinn“, meinte der Zeitschlumpf zu Monti.
Daraufhin setzte sich dieser auf seine Hinterbeine und dachte darüber nach, wie er seine Gedanken am besten zum Ausdruck bringen konnte: „Jeder Schritt, den ich hier auf der Erde gehe, ist anders als der vorherige. So als ginge ich entlang einer Linie.“
Der Zeitschlumpf schaute auf den nachdenklichen Monti und meinte dann: „Was genau ist deine nächste Frage?“
„Ich verstehe den Sinn, Zeit zu messen in der Vergangenheit und auch eine Zeitmessung für die Zukunft. Doch ich weiß immer noch nicht, wie sich die Zeit anfühlt?“
Der Zeitschlumpf nickte, stand auf, schaute in Richtung des Waldes von Uhr und forderte Monti auf, ihm zu folgen.

Weiter ging es bergab, und bald erreichten sie den Wald von Uhr. Monti lauschte den Geräuschen des Waldes und hatte das Gefühl, sich schon im Wald zurechtzufinden. Jetzt blieb Monti stehen und teilte seinen Gedanken dem Zeitschlumpf mit.
„Was ist es genau, dass du glaubst, dich im Wald zurechtzufinden?“, fragte ihn der Zeitschlumpf.
„Ich erkenne die Zeichen des Weges!“, antwortete Monti prompt und war überrascht, dass er ganz automatisch etwas gelernt hatte.
Doch der Zeitschlumpf stellte ihm dazu noch eine Frage: „Was hast du getan, um die Zeichen des Weges zu erkennen?“
Damit wurde es für Monti klar: „Ich bin immer mit meiner ganzen Aufmerksamkeit den Weg gegangen. Dann habe ich mir gedacht, wenn es einen Sinn macht, auf alles aufmerksam zu achten, dann hat es vielleicht einen Sinn, dass alles so da ist, wie es ist. Und jetzt habe ich das Gefühl, dass mir der Weg sagt, wo es weitergeht.“
„Was sagt dir der Weg, wo es jetzt weitergeht?“

Monti drehte sich langsam im Kreis und schaute aufmerksam auf alles, was sich ihm dort zeigte. Dann erschien es ihm so, als würde sich an einer Stelle des Waldes ein Weg öffnen. In diese Richtung deutete Monti und sagte: „Der Weg sagt mir, dass es dort weitergeht.“
Der Zeitschlumpf blickte in die Richtung und nickte anerkennend. Dabei gab er noch etwas zu bedenken. „Wenn du auf die Zeichen des Weges achtest, und ihnen folgst, dann darfst du darauf vertrauen, dass du auf diesem Weg etwas lernen wirst.“
„Was genau meinst du damit?“
„Dass der Weg manchmal weiser ist als wir.“

Auf den Weg vertrauend, ging Monti weiter. Das Licht der Nachmittagssonne veränderte die Farben des Waldes. Sie gelangten auf eine kleine Lichtung, und hier, das wusste Monti, war der Wartepunkt des Weges. Bald nachdem sie sich dort niedergelassen hatten, hörten sie samtartige Flügelschläge. Dann sahen sie die Eule auf sie zufliegen.
„Hallo Eule“, begrüßte sie der Zeitschlumpf, „hallo und eine gute Zeit.“
Die Eule erwiderte würdevoll den Gruß, trat mit ihren Füßen ein paar mal hin und her, bis sie richtig auf dem unebenen Waldboden stand. „Ich bin interessiert, was euch zu mir führt.“ Die Stimme der Eule war wach und munter.
„Wir sind hier“, sagte der Zeitschlumpf, „weil Monti wissen möchte, wie sich die Zeit anfühlt.“
Die Eule nickte verstehend und blickte freundlich zu Monti: „Es gibt keine absolute Zeit, und somit gibt es auch kein absolutes Gefühl für die Zeit.“
Monti verstand nicht: „Wenn ich doch Zeit messen kann, dann ist sie doch für alle gleich da, und dann muss sie doch auch für alle gleich fühlbar sein.“
„Wie ein jeder seine Zeit fühlt, hängt ganz alleine davon ab, wie er seine Zeit erlebt.“
„Also, verstehe ich dich richtig“, Monti überlegte, „Zeit zu fühlen, hängt davon ab, was ich im Augenblick erlebe?“
„Weißt du Monti, Zeit ist jeder Augenblick, egal was wir erleben. Nur in welcher Art der Augenblick gefühlt wird, bestimmt jedes Erdenwesen selbst.“
„Also wie lang ich Zeit fühle, ist nicht messbar?“
„Dein Gefühl sagt dir etwas über die Qualität der Zeit, nicht über die Länge. Es ist zwar so, dass Zeit sich mal langsam anfühlt oder schnell, je nachdem, was der Betreffende tut, doch wie derjenige sich dabei fühlt, ist das Ausschlaggebende.“
„Ist es dann so, dass, obwohl sich die Erde für alle Erdbewohner gleich dreht, jeder Erdbewohner seine Zeit anders fühlen kann?“
Die Eule nickte.

Monti fasste in Gedanken noch einmal alles zusammen und sagte: „Das alles verstehe ich. Doch worin liegt der Sinn, Zeit anders zu fühlen?“
„Es ist die Freiheit, zu erkennen. Jeder gelebte Augenblick vermag uns etwas zu lehren, und so ist jeder Augenblick wertvoll für ein Leben.“
„Also ist das der Grund dafür, den eigenen Weg achtsam zu gehen?“ Mit diesen Worten hatte Monti sich an den Zeitschlumpf gewandt.
„Ja, Monti, indem du achtsam gehst, nimmst du wahr, was sich zwischen dir und deinem Weg verändert.“
Monti schaute zur Eule und fragte: „Wenn ich also mein Leben lebe, kann ich fühlen, wie meine Zeit ist?“
Die Eule antwortete: „Wie sich Zeit anfühlt, können wir Erdwesen nur hier auf der Erde erfahren.“
„Das bedeutet“, und Monti war begeistert, „solange wir Erdwesen hier auf der Erde leben, fühlen wir Zeit.“
Die Eule und der Zeitschlumpf verneigten sich leicht vor Monti.
Er hatte verstanden, und das war für ihn der Zeitpunkt, in sein Heimatgebüsch zurückzukehren.
„Danke liebe Eule“, sagte Monti, „danke für deine Zeit.“
Nachdem sie sich von der Eule verabschiedet hatten, tat sich ein Weg vor ihnen auf. Monti freute sich schon auf zu Hause. Am Waldrand von Uhr endete ihr gemeinsamer Weg.

Der Abschied war herzlich und voller Hochachtung. Sie wünschten sich gegenseitig noch eine gute Zeit, und der Zeitschlumpf winkte solange, bis Monti nicht mehr zu sehen war.

Während Monti seinem Heimatgebüsch entgegenhoppelte, wusste er, wie sich Zeit anfühlt. Als er Mutterhase von weitem sah, rief er ihr entgegen: „Ich bin meine Zeit“.

***