Winter 1970.
Wie jeden Winter sehnten wir Kinder uns nach Schnee. Wenn die Wolken tief standen und die Kälte einbrach, wussten wir, jetzt könnte es schneien. Ich saß oft beim Fallen der ersten Schneeflocken mit meiner Schwester am Küchenfenster über der Heizung und wir sangen das Lied vom Schneeflöckchen, Weißröckchen wann kommst du geschneit, damit es ja nicht aufhörte zu schneien.
Die Winter in unserer bergigen Ruhrgebietsstadt waren kalt und grau. Schneite es aber, dann hielt uns Kinder nichts mehr zu Hause.

Hatte es über Nacht geschneit, dann freuten wir uns schon auf dem Weg zur Schule oder Kindergarten, wenn wir Kinder von unserer Straße uns am Nachmittag mit unseren Gleitschuhen und Schlitten treffen würden, um zu Schlittern und zu Gleiten und uns im Schnee zu wälzen.

Doch immer wieder war es das Gleiche. Kamen wir am Mittag nach Hause, war jedes Mal der Salzstreuwagen da und der Schnee auf unserer Straße geschmolzen. Die Gehwege waren von den Erwachsenen vom Schnee befreit und alles was am Morgen noch so leicht und weiß war, war jetzt wieder hart und grau.
Gefrustet spielten wir dann mit den Schneeresten, Schlitten- und Gleitschuhfahren war nicht möglich.

Unsere Straße war eine Sackgasse und ging längst an einem Hügel entlang, so dass die Gärten der Häuser auf beiden Seiten der Straße steil abfielen und am Ende der Straße ging es auch bergab, ideal zum Schlittenfahren, wenn denn Schnee da war. Die Zugangsstraße, von der unsere Straße aus zu erreichen war, führte steil den Hügel hinauf und an der T-Straßenkreuzung vorbei weiter hinauf.

Über Nacht hatte es geschneit. Alles war weiß mit ordentlich viel Schnee. Es war ein schulfreier Tag. Dieser Umstand war auf unserer Seite. Wir waren dreizehn Kinder mit einer entsprechenden Anzahl an Schlitten. Der Plan war, unsere Schlitten als Straßenblockade am Eingang der Straße aufzubauen, so viele Schneebälle vorzuformen, die auf die Schlitten passten um dann den Streuwagen damit zu bewerfen und abzuhalten in unsere Schneestraße zu fahren.

Wir mussten einige Zeit warten. In der Zwischenzeit öffneten wir unsere Sperre für einige Privatautos, die wir großzügig durchließen.
Dann kam der Streuwagen von unten die Zugangsstraße hochgefahren. Die Schlittenbarriere stand, auf den Schlitten aufgetürmt die fertigen Schneebälle. Der Fahrer des Streuwagens verlangsamte, als er uns sah, den Schwung um in unsere Straße zu fahren. . Wir schrien, er sollte wegbleiben. Dann rollte der Streuwagen leicht zurück und fuhr bedrohlich auf unsere Schlitten zu. Wir schrien so laut wie wir konnten und warfen hinter unseren Schlitten stehend die Schneebälle gegen das Streuauto und auch gegen die Frontscheibe.

Ich war damals sieben Jahre alt. Die Größe dieses Streuwagen-Ungetüms überraschte mich. Würde er einfach über unsere Schlitten hinweg fahren? Seine Reifen waren dazu groß genug. Würden wir es dann alle schaffen uns zur Seite zu retten? Ich kämpfte weiter, schrie und warf Schneebälle. Es ging um unseren Schnee und es ging um uns.

Dieses Ungetüm rollte immer wieder leicht zurück und fuhr dann so nah an unsere Schlitten heran, dass ich glaubte, gleich fährt er drüber. Wir schrien immer lauter und warfen Schneebälle. Wir waren bereit alles zu geben.
Unsere Schneeballmunition war bald aufgebraucht. Die Kleineren von uns holten so viel Schnee nach, wie sie nur konnten, wir hörten nicht auf zu schreien und zu werfen.

Und dann geschah das Unglaubliche. Der Streuwagen rollte wieder zurück, doch diesmal wendete er leicht und fuhr weiter die steile Zugangsstraße hinauf, weg war er.

Wir schauten uns an, wir lachten uns an, wir hüpften jubelnd hinter unserer Schlitten-Blockade. Wir hatten gewonnen. An diesem Tag gehörte der Schnee in unserer Straße uns, den ganzen Tag.

Ich habe beobachtet, dass danach nie wieder ein Streuwagen in diese Straße gefahren ist.